Wir finden, dass folgende Worte unsere im April/Mai 2019 formulierten Anliegen zu flüchtenden Menschen wortstark widerspiegeln.
Lesenswert und herzlichen Dank dafür!
Eure Junge Gemeinschaft – der Familienverband im Bistum Münster
Predigt am Fest der Apostel Petrus und Paulus, 2019
von Pfarrer Jens Schmidt, St. Theresia, Alt-Katholische Kirche auf Nordstrand
„Sie kommen über das Mittelmeer.
In kleinen Schiffen.
Ich spreche von „Bitir“ und „Bul“, wie sie im arabischen genannt werden.
Ihre Heimat liegt auf einer Landbrücke zwischen Asien und Afrika.
Damit gehört ihr Herkunftsland also geographisch zu Vorderasien, geologisch aber zu Afrika.
Die beiden reisen unabhängig voneinander.
Aber sie machen ähnliche Erfahrungen.
Unterwegs von der Heimat nach Europa kommen sie mit ihren Schiffen öfters in kritische Situationen.
Unwetter auf dem Mittelmeer bringen sie während der Reise immer wieder in Gefahr, in Lebensgefahr.
„Bul“ erleidet Schiffbruch.
Die einen geben die Nachricht weiter, dass er auf Malta strandet.
Andere wiederrum behaupten, er sei an den Strand einer westgriechischen Insel gespült worden. Er hatte großes Glück. Andere überleben den Schiffbruch nicht und stranden tot. Ein Drama, was sich da auf dem Mittelmeer abspielt.
„Bul“ und „Bitir“ haben ihre Heimat nicht freiwillig verlassen.
Sie werden dazu gezwungen.
Zwar nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus politischen Gründen.
Aber unfreiwillig, bleibt unfreiwillig.
Weil beide einer radikalen Religion angehören, sind sie in ihrer Heimat verhaftet und verurteilt worden.
„Bul“ wurde schon mehrmals straffällig, wurde mehrmals inhaftiert. Zuletzt wurde er in Jerusalem festgenommen, aus radikal-religiösen Gründen.
Und zum Tod verurteilt.
In Italien, genauer gesagt in der Hauptstadt Rom, möchte er Rechtsanspruch einlegen gegen dieses Urteil.
Die Sachlage von „Bitir“ ist unübersichtlicher. Ich würde sagen, nichts Genaueres weiß man. Die Aktenlage des Gefangenen ist undurchsichtiger.
Anscheinend gibt es mehrere, unterschiedliche Akten, die von unterschiedlichen Personen geführt wurden. Fakt ist jedoch, das „Bitir“ der gleichen radikalen Religion angehört wie „Bul“.
„Bitir“ und „Bul“ kennen sich. Sie sind einander begegnet, um festzustellen: Freunde werden wir nicht. Weil wir uns nicht mögen,
Ja, zu unterschiedlich ist ihre Einstellung in religiösen Fragen.
Obwohl sie der gleichen Religion angehören, vertreten sie unterschiedliche Positionen.
„Bitir“ ist konservativ, „Bul“ hingegen eher liberal.
Auf unterschiedlichen Wegen, mit unterschiedlichen Schiffen, zu unterschiedlichen Zeiten, erreichen die Beiden schließlich das europäische Festland.
In Italien betreten die dunkelhäutigen „Bitir“ und „Bul“ europäischen Boden, mit nichts anderem im Gepäck als ihre Religion, die von den politisch Verantwortlichen als radikal eingestuft wird.
Habt ihr die Geschichte von „Bitir“ und „Bul“ in den Medien, besonders den Printmedien, gelesen?
Ach so, wahrscheinlich, nee mit großer Sicherheit wurden in den Medien nicht ihre arabischen Namen genannt.
Vielleicht ihre anderen Namen „Scha’ul“ und „Kefa“.
„Pétros“ und „Pávlos“ nennt man sie in Griechenland.
Uns sind die beiden eher bekannt unter Petrus und Paulus.
Wenn wir in einer weltweiten, ökumenischen Verbundenheit und Freundschaft, in diesen Tagen, heute ihr Fest feiern, uns ihre Lebensgeschichten und ihre Lebenswerke in Erinnerung rufen, sie sozusagen vergegenwärtigen, heutig werden lassen, dann können wir unsere Augen, unsere Ohren, unsere Herzen und unseren Mund nicht dem verschließen, was seit Jahren, Monaten und in den letzten Tagen im Mittelmeer geschieht.
Ich sage es in aller Deutlichkeit, andere mögen da anderer Überzeugung sein, ich sage es laut:
Was derzeit im Mittelmeer geschieht ist eine Schande für das angeblich freie Europa.
Ich halte es für eine Schande, das selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Eilantrag der Sea Watch 3 in Italien anlegen zu dürfen zurückwies.
Kapitänin Carola Rackete hatte am Dienstag angekündigt, notfalls auch ohne Erlaubnis in italienische Hoheitsgewässer zu fahren.
Die Ankündigung wurde von ihr in die Tat umgesetzt.
Die Sea-Watch 3 hat Kurs auf Lampedusa genommen, auch auf die Gefahr hin, beschlagnahmt zu werden und die Crew zermürbenden Gerichtsprozessen auszusetzen.
Mittlerweile ist die Kapitänin Carola Rackete festgenommen worden. (AnmerkungJG_3.7.19: von einer Ital. Richterin wieder auf freien Fuß gesetzt worden)
Unterschiedliche, europäische Politiker und Politikerinnen bezeichnen die Reaktion der italienischen Politik auf die Geschehnisse vor Lampedusa als „unmenschlich, kaltblütig und skrupellos“.
Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer kritisiert gleichzeitig die europäischen Staaten, in dem er sagt:
“Niemand übernimmt Verantwortung. Das ist aber zwingend notwendig. Die Situation kann nicht ewig andauern, denn die Lage auf dem Schiff spitzte sich immer weiter zu. Wir waren gezwungen zu handeln.”
Ruben Neugebauer lädt ein:
„Seid solidarisch mit den Geretteten und der Crew der Sea Watch 3! Keine Kriminalisierung der Crew! Seenotrettung ist kein Verbrechen!“
Mich persönlich haben solche Reaktionen berührt, indem es unter anderem heißt:
“Danke Carola! Danke, dass du das Gewicht der Menschheit in der großen und schrecklichen Welt des Egoismus übernommen hast.“
Die Kapitänin, übrigens aus Kiel, sagt:
„Ich habe beschlossen in den Hafen von Lampedusa einzufahren. Ich weiß, was ich riskiere, aber die 42 Geretteten sind erschöpft. Ich bringe sie jetzt in Sicherheit.“
Und weiter:
„Wenn uns die Gerichte nicht freisprechen, dann die Geschichtsbücher.“
Liebe Schwestern und Brüder,
an einem Tag, an einem Festsonntag wie heute, könnt ihr vielleicht sagen, ach ja er wird mal wieder zu politisch.
Das könnt ihr tun.
Von mir aus könnt ihr auch behaupten ich sei linkspopulistisch.
Damit kann ich leben.
Aber an einem Tag wie heute, bleibt mir keine andere Wahl als politisch zu sein.
Und zwar politisch aus dem Glauben, aus unserem gemeinsamen Glauben, heraus.
Das Herzstück einer jeden christlichen Kirche, gleich welcher Konfession, ist und bleibt die Caritas, die Diakonie.
Durch caritative Wachsamkeit und diakonaler Zuneigung geht es um die konkrete Zuwendung der Liebe Gottes zu den Menschen.
Glaube, Gottesdienst und Gemeinschaft in jeder christlichen Kirche ist wertlos, wenn sie in den Menschen, also in uns, nicht die Liebe, die Zuneigung zum Menschen entflammt.
Und gerade heute, am Fest der Apostel Petrus und Paulus, die über das Mittelmeer zu uns gekommen sind, mit nichts anderem in ihrem Gepäck als den Glauben an den Auferstandenen, machen es doch auch die Schriftlesungen deutlich.
In der 1. Lesung sagt Petrus zu dem gelähmten Mann:
„Was ich habe, das gebe ich dir.
Im Namen Jesu Christi, geh umher.“
Die Lesung hält dann fest:
„Und er fasste ihn an der rechten Hand und richtete ihn auf.“
Berühren, aufrichten, groß machen, selbstständig werden lassen, all das spiegelt sich in der Lebenshaltung des Petrus wieder.
Und in der zweiten Lesung, wird mit Blick auf Paulus deutlich, all das ist Voraussetzung dafür, „damit Christus unter allen Menschen verkündet wird“.
Und das heutige Evangelium schließt mit Worten, die nicht nur für Petrus gelten, sondern für alle Jüngerinnen und Jünger, also für alle Getauften in den unterschiedlichen Kirchen:
„Folge mir nach!“
Folge du mir nach.
Also die Einladung Jesu:
Geh auch du in meiner Spur, geh in meinen Spuren, gehe hinter mir her.
Alle drei, Jesus, Petrus und Paulus lebten ihren jüdischen Glauben, liebten ihre Traditionen und standen zu den Werten ihrer jüdischen Religion.
Und ein Wort aus dem Judentum lautet:
„Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt!“
Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.
Und damit ist alles gesagt und zusammengefasst.“
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